Zentralasiatische Zwischenbilaz

Gute fünf Wochen ist es her, seit wir den mittleren Osten verlassen und uns auf den Weg nach Zentralasien gemacht haben. Die Strassen werden immer schitterer, die Umgebung immer bergiger und die Aussicht immer spektakulärer. Ausserdem erhalten wir einen kleinen Einblick in das Leben in Afghanistan und stellen zudem fest, dass unsere Magendarm-Träkte auch nach mehr als einem Jahr unterwegs noch europäische Mimösli sind.

Usbekistan hat uns mit herrlichen Mohnblumenfeldern und den beiden alten Seidenstrasse-Städten Buchara und Samarkand beglückt. Richtig spannend ist es aber erst mit dem Grenzübertritt nach Tadschikistan geworden.

Am dritten Tag auf tadschikischem Boden sind wir bereits auf 2400 m.ü.M. Wir zelten auf der Wiese einer tadschikischen Grossfamilie, die in ein paar aus Steinen aufgeschichteten Hütten wohnen. Wir wissen nicht genau, ob sie ganzjährig hier hausen oder im Winter runtergehen in wärmere Gefilde. Wir hoffen es, können es aber aufgrund der allgegenwärtigen Sprachbarriere nicht herausfinden. Am nächsten Morgen schleppen zwei der Frauen schwere Säcke auf ihren Rücken den Trampelpfad zu den Hütten hinauf. Ich bin gerade dran meine Sachen zu packen und sie sehen offenbar mein «Necessaire». Die eine deutet darauf, sagt: «Krema» und zieht ihre Handschuhe aus. Ich bin etwas schockiert, als ich die tiefen, mit schwarzem Staub gefüllten Wunden sehe. Gerne darf sie sich die Hände mit meiner Feuchtigkeitscrème einreiben. Und jetzt weiss ich auch, was in all diesen Minen an den Hängen des Tals abgebaut wird. Und was in den schweren Säcken auf den Rücken der Frauen ist. Steinkohle.

Wir fahren los, bringen die restlichen 300 Höhenmeter hinter uns und stehen dann vor dem «tunnel of death». Wir haben viel von diesem fünf Kilometer langen, unbeleuchteten und unbelüfteten Tunnel gehört. Und wir wissen, dass die meisten Velöler sich eine Mitfahrgelegenheit suchen. Doch das erledigt schon der junge Soldat für uns, der vor dem Tunnel stationiert ist und uns sowieso nicht hätte durchfahren lassen.

Sean, der junge Ire, der immer noch mit uns unterwegs ist, ist heute morgen um fünf Uhr aufgestand um vor dem Soldaten beim Tunnel zu sein. Damit er auch wirklich jeden Meter seiner Reise auf dem Velo zurücklegen kann. Offenbar mit Erfolg, wie wir später erfahren, allerdings mit einem rabenschwarzen Gesicht. Wir verzichten gerne auf dieses Erlebnis. Schon allein der Tunneleingang ist furchterregend. Ein schwarzes Loch, das die Rücklichter jedes einfahrenden Fahrzeugs innert Sekunden verschluckt und nur schwarzen Rauch und Staub ausspuckt. Kein Wunder, sind foch die meisten Fahrzeuge Lastwagen, vollbeladen mit Steinkohle. Und genau in so einem Exemplar bringen denn auch wir den Tunnel hinter uns. Wir in der Führerkabine, Matilda und Penny mitsamt dem Gepäck auf dem Kohleberg hinten. Im Inneren bestätigt sich, was wir schon gehört umd gelesen haben, Gegenverkehr, der nur knapp kreuzen kann, kaum Licht, riesige Löcher im Belag und überall Staub und Rauch.

Auf der anderen Seite geht es bergab. Und zwar so richtig. In Duschanbe sind wir wieder auf 700 m.ü.M und geniessen noch einmal das Grosstadtleben mit all seinen Bequemlichkeiten. Und wir werden langsam etwas chriblig. Jetzt geht es wirklich in den Pamir. Die wohl härteste, aber vermutlich auch eine der schönsten Strecken unserer Reise liegt vor uns. Im Hotel, wo wir uns einquartieren, kommen und gehen die Reisenden. Mit Motorrädern, mit Velos, ein Österreicher mit einer Vespa und einige Rucksacktouristen. Manche kommen vom Pamir andere haben ihn, wie wir, noch vor sich.

Doch die nächsten Tage nach Duschanbe sind noch ziemlich unspektakulär. Wir machen einige Höhenmeter, fahren rauf und runter und sind doch immer noch in tiefen Lagen unterwegs und kämpfen mit der Hitze. Die Strassen sind immer noch gut geteert und wir kommen zügig voran.

Am Mittag des vierten Tages fahren wir von einem Pass runter in ein weites Tal, in dem sich ein Fluss schlängelt. Und dahinter sind sie, die Schneeberge. In Afghanistan. Eine beeindruckende Aussicht, durch ein vorbriziehendes Gewitter zusätzlich in Szene gesetzt. Dieser Fluss wird nun zu unserem Begleiter. Oder wir zu seinen. Wir werden ihm fast 800 km lang folgen und er wird uns hineinbringen in den Pamir.

Der Panj (so heisst unser Begleiter) bildet die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Bisher haben wir uns kaum mit diesem Land beschäftigt, es war ja nie auf der Liste der zu besuchenden Länder. Und jetzt haben wir plötzlich freie Sicht hinüber. Es ist unglaublich nah. Und unglaublich beeindruckend. Während wir auf unserer geschmeidigen Asphaltstrasse (vermutlich made in China) voranrollen, ist auf der anderen Seite des Flusses eine Schotterstrasse zu erkennen. Auch sie führt über hunderte Kilometer dem Fluss entlang und verbindet die kleinen Dörfer miteinander. Allerdings sehen wir kaum Verkehr, aber viele Esel und viele Menschen sind zu Fuss unterwegs. Die Dörfer bestehen aus kleinen Lehm- oder Steinhütten und während auf unserer Seite Stromkabel von Dorf zu Dorf gespannt sind, scheint drüben keine Elektrizität vorhanden zu sein.

Das Tal wird immer enger und die Strasse ist an einigen Stellen kühn in die Felswand gemeisselt. Auf afghanischer Seite sehen wir immer wieder Gräben, wo wohl grosse Massen von Geröll und Schnee die Strasse regelmässig verschütten. An einigen Stellen sind Bagger am Werk, die Strasse ist wohl nicht durchgehend befahrbar. Diese Menschen leben ein völlig isoliertes Leben, versorgen sich selber und können nicht auf medizinische Versorgung zählen. Wo der nächste grössere Ort ist, wissen wir nicht. Aber es ist sicherlich ein weiter Weg. Wenn er denn durchgehend begehbar ist.

Wir treffen nach ein paar Tagen in Qalai Khumb ein. Ein etwas grösseres Dorf, wo wir in einem einfachen Gasthaus unterkommen und wieder auf Sean, Angelo und Clementine treffen. Wir sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Duschanbe aufgebrochen, sind nun aber wieder vereint und beschliessen, als Gruppe weiterzufahren. Angelo und Clementine sind ebenfalls Schweizer und zusammen können wir über Käse und alles andere, was wir vermissen philosophieren. Tönt nach Klischee. Aber ist so.

Nach Qalai Khumb wird es tatsächlich anstrengender. Die Strasse war wohl mal geteert. Vielleicht in Zeiten der Sowjetunion. Viel ist von diesem Belag aber nicht übrig. Auf manchen Strecken fehlt er ganz, auf anderen ist er zwischen den Schlaglöchern noch erkennbar und manchmal ist er sogar ganz gut. Wir werden auf jeden Fall kräftig durchgeschüttelt. Und es ist immer noch heiss tagsüber. Die Aussicht, die sich uns aber hinter jeder Flussbiegung bietet, ist atemberaubend. Und auch die Versorgungssituation ist noch recht gut. In den kleinen Dörfchen gibt es ebenso kleine Läden, die einiges bieten. Sogar Tomaten fnden wir fast jeden Tag. Auch wenn das neben Zwiebeln das einzige Gemüse ist, das wir auftreben können.

Wir treffen immer mal wieder auf entgegenkommende Velöler, auf Töfffahrer und geländetaugliche Autos mit europäischen Nummernschildern. Der Tourismus hat Einzug gehalten in dieser verlassenen Gegend. Kein Wunder bei den Narurwundern, die die Region zu bieten hat. Auch in den Dörfern spürt man, dass sich die Menschen an diese komischen Europäer gewöhnt haben, die hier allen Ernstes auf Velos an ihnen vorbeirumpeln. Mehrmals täglich rennt eine Meute Kinder lauthals «hello, hello» schreiend auf die Strasse und will mit uns abklatschen. Grundsätzlich sind die Menschen freundlich, grüssen, helfen, wenn wir uns an sie wenden und es kommt zu einigen lustigen Begegnungen. Sie sind aber deutlich zurückhaltender als im Iran, was ich gerade sehr schätze.

Nun sind wir in Khorog. Die kleine Stadt ist grösser und bietet mehr, als wir angenommen haben. Wenn man bedenkt, dass alles, was wir hier vorfinden, über diese holprige Strasse hierher gebracht worden ist, ist das Angebot sogar richtig beeindruckend. Wir haben uns in einem chicen Hotel einquartiert. Etwas dekadent. Aber einige von uns hat dieser erste (noch harmlose) Teil schon etwas in Mitleidenschaft gezogen. Und Durchfall hilft definitiv auch nicht, um sich zu stärken.

Ich gehe nicht in die Details, was die Verdauung im Pamir anbelangt. Wir haben gewusst, dass es jeden und jede hier früher oder später erwischt. Dass das Thema in der ganzen Gruppe so allgegenwärtig sein wird, hat uns dann aber doch etwas überrascht.

Auf dem Märit und im kleinen Supermarkt haben wir uns mit Köstlchkeiten wie Auberginen, Honig und Käse eingedeckt. Das wird für die nächsten Tage reichen. Und so, wie es aussieht, wird es noch regelmässig Dörfer und Lädeli haben, solange wir dem Fluss folgen. Nur die Strasse wird jetzt wohl zur Katastrophe. Aber auch das haben wir gewusst. Wir sind immer noch «nur» auf 2000 m.ü.M. Aber innerhalb der nächsten 300km geht es rauf auf 4300 m.ü.M. Wir freuen uns. Nicht nur darauf, dass wir dort oben wieder auf eine asphaltierte Strasse stossen werden. Sondern vor allem auf die Landschaften, die uns im Pamir noch erwarten.

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