Zwischen Tradition und (Hyper-)Moderne

VAE – Mitte Februar

Als wir in Dubai ankommen, stellen wir ziemlich schnell fest, dass die arabischen Emirate anders sind als der Iran. Ein paar dieser Andersartigkeiten schätzen wir durchaus.

Nicht, dass die Lebensmittel im Iran schlecht gewesen wären. Aber die Supermärkte in Dubai erscheinen uns doch recht paradiesisch. Und auch der Umstand, dass wir nicht mehr allzu sehr auffallen, stört uns für einmal gar nicht. Auf den Strassen von Dubai sieht man alles: Asiatinnen in Hotpants, europäische Expats, die aussehen wie wir, burkatragende Araberinnen, Männer in weissen, bodenlangen Kitteln und Kopftuch mit Ring, Menschen jeder Hautfarbe, die wir uns nur vorstellen können und Kopfbedeckungen jeder Art prägen das Bild. Wir erfahren von der Besitzerin unseres Airbnbs – eine Filippina – dass die Gesellschaft zwar sehr multikulturell ist, die einzelnen Ethnien aber kaum etwas miteinander zu tun haben. Ausserdem sei die Hierarchie klar.

Zuoberst seien die Emiratis. Die seien reich und mächtig, dann kämen Inder, die einen gesellschaftlichen Aufstieg hinter sich hätten. Und die grosse Menge seien Arbeiter aus Indien, Bangladesch, Pakistan, Afghanistan oder Südostasien, die hier ihr Glück versuchten, hart arbeiteten und wegen der hohen Mieten auf kleinstem Raum hausten. Auch im Oman bestätigt eine Gruppe von Lehrern aus Bangladesch dieses Bild.

Wir haben weniger Kontakt mit den Leuten als im Iran. Hier sind Touristen nichts spezielles und so werden wir kaum mehr angesprochen. Ausserdem sind wir die ganze Zeit in einer Gruppe mit anderen Velölern unterwegs, was vielleicht auch dazu beiträgt, dass die Leute weniger auf uns zukommen. Aber wir würden schon gerne mal noch mit Omanis oder Emiratis sprechen.

Das einzige, was wir von ihnen bis jetzt mitbekommen, sind ihre Einkäufe. Sie fahren mit ihren grossen, teuren Autos vor den kleinen Läden im Oman vor und drücken kräftig auf die Hupe. Gerne auch wiederholt, wenn nicht subito etwas passiert. Sobald dann der – meist indische – Verkäufer aus dem Laden auf den Parkplatz eilt, teilen sie ihm aus dem laufenden Auto heraus ihre Einkaufsliste mit und warten, dass das angeforderte gebracht wird. Wir möchten, dass das nicht das einzige Bild bleibt, das wir von den ehemaligen Beduinen mitnehmen.

Unsere Runde auf der arabischen Halbinsel ist aber schon fast zu Ende. Uns bleibt nur noch die Strecke von der omanischen Grenze zurück an die Küste. Und diese verspricht nicht zum Filetstück unserer Rundreise zu werden. Uns erwarten 170km durch die Wüste, mehr oder weniger schnurgerade bis nach Abu Dhabi. Und es hat Wind. Viel Wind. Wind von vorne.

Wir verbringen eine eher ungemütliche Nacht in einem Park. Da zelten verboten ist, verstecken wir uns unter überhängenden Ästen und schlafen ohne Zelt, nur mit Mätteli und Schlafsack. Der Wind wird immer stärker und am Morgen sind wir wenig erholt und bedeckt mit kleinen Ästchen, Blättern und allem was sonst noch so durch die Luft geflogen ist. Den Kocher versuchen wir schon gar nicht anzuwerfen bei diesem Wind. Es muss auch ohne Kaffee gehen. Und ja, wir sind absolut selber schuld. Und nein, wir wissen keine Antwort auf die Frage, warum wir kein Hotel genommen haben.

Koen, mit dem wir nun einen Monat lang unterwegs gewesen sind, verabschiedet sich und lässt sich nach Dubai blasen. Er muss nicht nach Abu Dhabi auf die turkmenische Botschaft wie wir, sondern nimmt direkt das Schiff zurück in den Iran.

Wir sind seit langem wieder zu zweit und mässig motiviert für einen langen, mühsamen Tag. Die ersten 40km gehen erstaunlich locker. Der Wind kommt sogar ab und zu leicht von hinten. Doch dann gibt es einen Richtungswechsel. Und es wird harzig. Mit viel Aufwand liegen etwas mehr als 10km/h drin. Überall ist Sand und Staub. Auf der Strasse, in den Ketten, auf der Haut, in den Ohren….. Und plötzlich ist da diese schwarze Wand vor uns. Wenn wir nicht in der Wüste wären, müssten wir fast mit Regen rechnen. Zehn Minuten später ist er da, der Regen. Wir trauen unseren Augen kaum und graben die Regenjacken aus. Immerhin ist ziemlich bald spürbar weniger Sand und Staub in der Luft. Und der Spuk dauert nur kurz.

Wir strampeln weiter. Doch nach sechs Stunden und 95km haben wir nicht mehr wirklich Lust auf mehr. Uns erwartet eine windige, sandige Nacht in unserem Zelt. Denken wir. Doch dann bremst ein grosser, weisser Pickup neben uns. Drinnen sitzt eine ältere Dame mit farbigem Tschador, Burka und Baseball-Cap. Sie bietet uns Datteln an und meint «my farm, come». Wir wissen nicht recht, ob das jetzt ernst gemeint ist und wo denn diese Farm ist. Das Angebot tönt aber verlockend. Die Dame ruft ihre Tochter an und drückt mit das Telefon ans Ohr. Fatima spricht wunderbar englisch und erklärt, die «farm» sei ganz in der Nähe und wir könnten dort übernachten. Da sagen wir nicht nein. Die Dame im Auto weist ihre Beifahrerin – offenbar ihre Bedienstete – an uns beim Aufladen zu helfen, fährt los, besorgt uns je einen Sack Chips (nach oben beschriebener Einkaufsmanier) und bringt uns in ihr Haus. Wir lernen ein Rudel Enkel und weitere Bedienstete kennen, wobei die Enkel sich sofort als Übersetzer beweisen. Sie sind offenbar in den USA geboren worden und sind zweisprachig. Die resolute Dame lässt uns Kaffee servieren und meint dann, wir würden jetzt zur «farm» gehen.

Im Auto erklärt mir ihr ca. 12-jähriger Enkel Mohammad, dass man beim Scheich einfach anfragen könne, wenn man ein Haus oder eine «farm» wolle. Und dann bekomme man das ohne Gegenleistung. Vorausgesetzt man ist Emirati selbstverständlich. Das liebe Öl.

Wir fahren in die Wüste raus und sehen irgendwann eingezäunte Grundstücke mitten im Sand. Eines davon ist die «farm» unserer Gastgeberin. Sie hat ein paar Kühe, Ziegen, Hühner, Enten und Gänse. Und einige Arbeiter aus dem Sudan, die dort hausen und die Tiere versorgen. Der nächste Halt ist die «farm» von Mohammads Mutter. Sie scheint älter zu sein, befindet sich quasi in einem Quartier von Farmen und beherbergt auch Pferde und Kamele. Mohammad zeigt uns stolz «seine» Kamele und «seinen» Quad. Auch hier wieder Arbeiter mit Migrationshintergrund, die das Tor öffnen wenn die Chefin kommt und natürlich die Tiere versorgen. Der letzte Halt dann führt uns zur «farm» von einem Sohn unserer Gastgeberin.

Auch er heisst Mohammad. Er kommt uns entgehen mit einem grossen, blauen Papageien auf der Schulter, der vor sich hinplappert. Mohammad ist Maschineningenieur und spricht gut Englisch. Stolz macht er uns mit seinen 2-jährigen Zwillingen bekannt und führt uns dann ebenso stolz durch seine «farm». Er hat etliche Hunde, drei Araberpferde, fünf Kamele, Hühner und Tauben. Und er liebt seine Tiere. Wir lernen viel über Araberpferde und Kamele. Mohammad nimmt uns mit zu den Kamelen, die sofort zu ihm kommen und schmusen wollen. Auch wir werden neugierig beschnuppert und bekommen ein paar Küsse ab. Eine Kuh sollte in den nächsten Tagen kalben, weshalb Mohammad im Moment auf seiner «farm» übernachtet. Eine andere Kuh hat vor einem Monat gekalbt und lässt uns das Kleine streicheln. Obwohl, «das Kleine» ist schon ziemlich auf Augenhöhe mit mir. Und schlussendlich dürfen wir die Kuh sogar melken. Erwartungsgemäss mit wenig Erfolg. Wir können uns kaum von den Kamelen lösen. Diese Tiere sind so faszinierend. Und so friedlich und gutmütig. Und diese hier sind natürlich auch gut erzogen.

Zum Znacht gibt es dann Poulet über dem Feuer und wahnsinnig starken, arabischen Kaffee. Mohammad erzählt uns von seiner Familie und von seinem inneren Konflikt, wenn es um seine eigenen Kinder geht. Er möchte ihnen möglichst viel seiner Kultur, Religion und Tradition mitgeben, möchte sie am liebsten hier draussen in der Wüste mit den Tieren aufwachsen lassen. Er weiss aber, dass es für eine erfolgreiche Zukunft seiner Kinder absolut unabdingbar ist, möglichst von klein auf englisch zu lernen. Der Gegensatz zwischen dem, was wir hier antreffen und dem, was wir in Dubai gesehen haben, ist riesig. Tradition und Moderne sind hier so nah beieinander und ich kann mir durchaus vorstellen, dass dieser Spagat nicht immer einfach ist.

Noch vor 60 Jahren war hier nichts als heisse, unerbittliche Wüste. Die Menschen lebten als Nomaden und zogen mit ihren Tieren von Oase zu Oase. Heute stehen an der gleichen Küste futuristische Megacities. Und die Menschen versuchen mit diesem – durch das Erdöl verursachten – Sprung zurechtzukommen. Und wie um diesen Konflikt zu unterstreichen, taucht etwas später am Abend noch Fatima auf, die Schwester von Mohammed, mit welcher ich ja schon telefoniert habe. Sie sieht aus wie alle emiratischen Frauen: Langes Kleid und enganliegendes Kopftuch. Sie ist Militärpilotin, die erste der arabischen Emirate. Und wie ihre Mutter, weiss sie, was will und wie sie das erreicht. Wir trinken Kaffee und plaudern über Rollenbilder, Umweltschutz und andere Belanglosigkeiten bis Fatima schliesslich nach Hause muss. Es ist noch eine ziemliche Strecke bis Abu Dhabi, wo sie wohnt. Und sie muss morgen im Cockpit fit sein.

Ein kurzweiliger, für uns sehr interessanter Abend, den wir so schnell nicht vergessen werden. Und der unsere Sicht auf diesen Wüstenstaat massiv erweitert. Wir sind unglaublich froh und dankbar, dass uns Fatimas Mutter heute Nachmittag auf der Strasse aufgegabelt hat. Und zwar nicht nur, weil wir dadurch einer windigen Nacht in der Wüste entgangen sind. Sondern vor allem, weil wir so – quasi im letzten Moment – noch einen Einblick in diese Gesellschaft zwischen Tradition unf Moderne erhalten haben.

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