Fridolin stösst an seine Grenzen

Kasachstan im August

Wir sind nun schon ein paar Tage mit Fridolin unterwegs. Es ist nach wie vor heiss und wird immer heisser, je weiter wir in die Steppe hinausfahren. Kurz vor Shymkent bietet sich uns die letzte Möglichkeit noch einmal ein bisschen in die Berge zu fahren. Wir wollen zwei Nächte in einem Nationalpark übernachten und noch einmal etwas abkühlen.

Der Stadtverkehr von Almaty hat uns den Einstieg nicht gerade einfach gemacht, aber Roman hat sich wacker geschlagen. Ich habe mich erst irgendwo auf einer kaum befahrenen Landstrasse hinter das Steuer gewagt. Und bin immer noch etwas überfordert mit der Stockschaltung, dem Schleifpunkt, der erst kommt, wenn die Kupplung schon fast komplett gelöst ist und dem breiten Hintern unseres Gefährts. Aber ich hoffe darauf, dass ich lernfähig bin.

Grundsätzlich fahren wir abwechslungsweise ein bis zwei Stunden. Aber heikle Passagen überlasse ich immer noch lieber Roman. Auch wenn ich mit der Stadt mittlerweile klar komme. Wir sind im Sairam Ugam Nationalpark in einem Tal mit einem herrlich eiskalten Bergbach und vielen Möglichkeiten zum campen. Wir sind nicht ganz alleine, die Kasachen flüchten so oft wie möglich aus den heissen Städten in der Ebene und kommen zum picknicken oder campen in die Berge.

Wir haben einen schönen Platz am Fluss gefunden, können aber noch nicht hinfahren, weil eine Familie noch grilliert dort unten. Kein Problem, wir warten bis sie gegangen sind und wollen dann kurz nach Sonnenuntergang die paar Meter von der Strasse runter fahren. Doch wir überschätzen Fridolin. Roman will rückwärts runter rollen, fährt etwas zu weit links, will korrigieren und tut dann keinen Wank mehr. Das vordere rechte Rad dreht ohne zu greifen und schleudert nur noch Dreck in der Gegend herum. Wir versuchen ein Brett zu unterlegen, doch auch dort greift das Rad nicht mehr. Das ist also die Grenze von drei Tonnen auf einem Zweiradantrieb.

Wir sind etwas verzweifelt. Es wird bald dunkel, Fridolin steht an einem steilen Hang, so dass wir wohl fast stehend schlafen müssten und die meisten Tagestouristen sind weg. Ich erinnere mich, dass weiter oben ein paar Bungalows sind, schnalle meine Rennschuhe an und mache mich auf den Weg um Hilfe zu holen.

Bei den Bungalows hat es tatsächlich noch Leute. Und die zweite Person, auf die ich treffe, ist zum Glück Nura. Sie ist 16, spricht beeindruckend gut Englisch und freut sich darüber, dass endlich mal was passiert. Sie ist nämlich mit ihrer Familie für drei Tage hier «gefangen». Ohne Internetzugang. Schrecklich. Sie bringt mich zur Besitzerin der Bungalows und übersetzt für mich. Die Dame ist gerade dran, Fleisch und Gemüse in eine riesige Pfanne über dem Feuer zu schichten. Sie macht zwar ein Telefon, erklärt dann aber, sie könne nicht helfen und schichtet unbekümmert weiter. Doch Nura ist entschlossen, mir zu helfen. Sie bringt mich zu ihrer Familie. Ihr Onkel unterbricht das Grillieren von Schaschlik (Fleischspiesse), steigt mit uns in ein Auto und will mal zu Roman fahren.

Leider tut auch dieses Auto keinen Wank. Wie sich später herausstellt ist die Antriebswelle ausgehängt. Also schnell Auto wechseln und dann die Strasse runter zu Fridolin und Roman. Der Onkel wirft einen kurzen Blick auf unser Gefährt, steigt dann wieder ins Auto und fährt talauswärts. Wir warten. Keine zehn Minuten später kommt einer dieser alten, sowjetischen Lastwagen die Strasse hoch. Die drei Insassen zücken ein Seil, hängen es an Fridolins Schnauze und Roman schafft es noch knapp, die Handbremse zu lösen, bevor sie Fridolin wieder auf die Strasse ziehen. Und so schnell, wie sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg. Wir haben nicht einmal Zeit, uns richtig zu bedanken.

Den Rest des Abends verbringen wir Schaschlik essend mit Nuras Familie. Sie übersetzt, alle stellen Fragen, wir werden gefüttert bis wir nicht mehr können und alle sind zufrieden. Besonders Nura, die schon befürchtet hat, sie würde hier vor Langeweile sterben. Im Verlauf des Abends finden wir heraus, dass sie vor knapp einem Jahr angefangen hat, Englisch zu lernen. Höchst intensiv und vor allem höchst motiviert. Sie will im Ausland studieren. Wir können kaum glauben, welches Niveau sie in diesem einen Jahr erreicht hat.

Und nun wird es langweilig. Die nächsten 4000 km fahren wir durch die Steppe. Zuerst etwas mehr als 3000 km in Kasachstan, den Rest dann in Russland. Rund um uns sieht es ewig gleich aus. Flach, goldbraun-dürr, manchmal Büsche, manchmal fast nur Sand. Alle ca. 50 km ein Dorf, sonst nichts als Weite und ab und zu ein paar Kamele oder eine Tankstelle. Faszinierende Langeweile.

Nein, stimmt nicht ganz. Wir kommen noch am Aralsee vorbei. Oder dem, was davon übrig ist. Katastrophentourismus ist nicht so unser Ding, darum machen wir uns nicht die Mühe und fahren all die Kilometer bis zur Küste. Wir kaufen im Städtchen Aral ein. Und sehen das alte Hafenbecken, wo heute ein paar Ziegen auf trockenen Dornbüschen herumkauen. Die alten, verrosteten Schiffe sind längst weg. Wer nicht weiss, dass hier einmal ein See und ein florierendes Fischerdorf war, der merkt nichts von der Katastrophe, die sich hier abgespielt hat. Und immer noch abspielt. Steppe, Halbwüste soweit das Auge reicht.

Und auch an Baikonur fahren wir vorüber. Der sowjetische Weltraumbahnhof wird immer noch genutzt. Den letzten Raketenstart haben wir aber verpasst, der war vor drei Wochen. Baikonur liegt heute in Kasachstan. Seit dem Ende der Sowjetunion pachtet Russland das ganze Gelände mitsamt dem Städtchen daneben. Das ganze Gebiet ist also russisches Territorium und ohne entsprechende Bewilligung (die 50 Tage vor Anreise beantragt werden muss) darf man nicht einmal ins Städtchen fahren. In der Ferne sehen wir die Türme und Antennen, mehr ist aber nicht zu wollen. Hinter einem Restaurant am Strassenrand finden wir neben den WC-Häuschen drei riesengrosse Rohre. Sie sehen aus, als hätten sie zumindest teilweise gebrannt. Was genau ihr Zweck war oder wie sie hierhergekommen sind, bleibt aber unklar.

Wir sind froh, sind wir hier mit Fridolin unterwegs. Mit den Fahrrädern wäre diese Strecke gelinde gesagt eine mentale Herausforderung. Motorisiert ist es zwar auch langweilig. Aber irgendwie auch faszinierend. Die sternenklaren Nächte in der Steppe sind wunderschön und wenn am Morgen ein paar Kamele vorbeikommen um in einem der seltenen Flüsse zu trinken, sind wir absolut zufrieden, hier zu sein. Tagsüber ist es heiss. Sehr heiss. Irgendwann stellen wir fest, dass es kühler ist, wenn wir die Fenster während der Fahrt nicht öffnen. Der Wind fühlt sich an, als käme er aus einem Haarföhn. Nichts von Abkühlung, im Gegenteil.

Fridolin macht seine Sache gut. Allerdings ist die Schlafplatzsuche nicht immer einfach. Sobald wir die Strasse verlassen, ist der Untergrund sandig, bestenfalls treffen wir auf eine «Dreckstrasse». Wehe es wird steil oder es regnet. Am Abend bevor wir die russische Grenze erreichen, versuchen wir an den Fluss zu kommen. Mit dem Resultat, dass uns zwei Männer aus dem Dorf helfen, mit Wagenheber, Schaufel und Brettern Fridolin wieder aus dem Sand rauszubekommen. Sie geben uns zwei der Bretter mit. Für künftige Notfälle. Und wir schlafen schlussendlich auf dem Parkplatz vor der Grenze.

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